West Fantasy 1 Der Zwerg, der Kopfgeldjäger & der Totengräber

Der melancholische Zwerg Okaar entdeckt in seiner Mine einen magischen Monolithen und erweckt damit unwissentlich einen uralten Nekromanten, der eine Armee der Toten entfesselt. Gleichzeitig nehmen ein Kopfgeldjäger und sein Goblin-Begleiter ihren Platz in der Geschichte ein.
Ein Ritt durch zwei Welten und beide sind tödlich
Mit West Fantasy haben Jean-Luc Istin und Bertrand Benoit nicht einfach nur ein weiteres Fantasy-Comic abgeliefert, sondern ein Genre-Mashup, das sich liest wie die feuchte Traumvorstellung eines Western- und Rollenspielfans nach drei Gläsern Feuerwasser. Der Titelheld: ein melancholischer Zwerg, der einsam in seiner Mine gräbt und seine Familie zwar liebt aber eher meidet, während am Horizont schon eine Armee der Untoten marschiert. Klingt wild? Ist es auch und genau das macht den Reiz aus.
Okaar Albericht, kein typischer Fantasy-Held
Okaar ist kein strahlender Held. Vielmehr wirkt er wie eine Mischung aus einem gealterten Goldgräber mit zu viel Vergangenheit und einem Antihelden, der mehr Whiskey als Wasser trinkt. Sein Fund, ein mysteriöser Monolith, ist der klassische Stein des Anstoßes, wortwörtlich. Mit der Entdeckung beginnt eine Kette von Ereignissen, die ihn selbst, aber auch die Welt um ihn herum, komplett verändern. Man spürt, dass unter seiner rauen Schale mehr als nur Traurigkeit liegt – da ist Geschichte, Trauma und ein Funken Hoffnung. Ein ungewöhnlicher Protagonist, aber genau das macht ihn spannend.
Kendal Jones, der Revolvermann mit Prinzipien?
Der Kopfgeldjäger Kendal Jones könnte aus einem Tarantino-Streifen gefallen sein. Zynisch, brutal, effizient aber irgendwo zwischen seinen knallharten Sprüchen und dem ewigen Griff zur Waffe blitzt auch so etwas wie eine innere Moral auf. Sein Goblin-Begleiter, ein totenaffiner Sidekick mit makabrem Humor, sorgt nicht nur für Witz, sondern auch für einen cleveren Gegenpol. Zusammen bilden sie ein Duo, das die Geschichte ordentlich aufmischt und das auf eine Art, die einen an Clint Eastwood mit Goblin erinnert.
Der Mann in Schwarz, ein Nekromant, wie man ihn hasst und liebt
Kein Fantasy-Epos ohne einen übermächtigen Antagonisten. Der Mann in Schwarz erhebt sich aus seinem Grab wie eine verdrehte Hommage an Sauron, aber mit dem Stil eines Outlaw-Zauberers. Dass seine Rückkehr direkt mit Okaars Fund zusammenhängt, verleiht der Geschichte Tiefe – und eine bedrohliche Konsequenz. Seine Armee der Toten ist kein Beiwerk, sondern eine ernstzunehmende Macht, die sich langsam aber unaufhaltsam durch die Welt frisst. Gruselig? Ja. Klischeehaft? Vielleicht. Aber verdammt effektiv.
Western trifft auf Magie, eine explosive Mischung
Die große Stärke von West Fantasy liegt in der Atmosphäre. Hier stauben keine Elfen durch Wälder, hier knarren Holzbretter unter schweren Stiefeln, während Runen in der Luft glühen. Der Comic vereint die staubige Härte des Wilden Westens mit der düsteren Macht von High Fantasy und das erstaunlich harmonisch. Magie wird nicht als bunte Spielerei dargestellt, sondern als uralte, zerstörerische Kraft. Gleichzeitig bleibt der Western-Ton stets präsent: Pistolen-Duelle, Pferde, Wüstenstaub und Gier, alles da.
Bertrand Benoits Zeichnungen: Staub, Blut und Glanz
Visuell ist das Werk eine Wucht. Bertrand Benoit hat einen Stil gefunden, der sowohl Fantasy-Fans als auch Western-Liebhaber abholt. Die Farbpalette ist erdig, warm, aber auch düster und unheilvoll, sobald der Nekromant auftaucht. Details wie die knochigen Toten, der schimmernde Monolith oder die verbissenen Gesichtszüge von Okaar sind mit enormem Gespür inszeniert. Jedes Panel wirkt wie ein Filmstill cineastisch, dynamisch und atmosphärisch dicht.
Erzähltempo und Struktur: Kurz, knapp, knallhart
Die Geschichte lässt einem kaum Zeit zum Verschnaufen. Nach wenigen Seiten ist man schon tief drin wortwörtlich in einer Mine voller Geheimnisse. Der Comic nimmt sich nicht viel Raum für langatmige Erklärungen, sondern wirft einen mitten ins Geschehen. Das ist erfrischend, kann aber auch ein wenig überfordern. Gerade wenn mehrere Handlungsstränge gleichzeitig Fahrt aufnehmen, wünscht man sich hier und da einen Moment mehr Tiefe oder Erklärung. Dennoch bleibt die Struktur spannend und der Spannungsbogen durchgehend straff.
Genre-Übergreifend, aber nicht beliebig
Was West Fantasy wirklich auszeichnet, ist der gekonnte Umgang mit Klischees. Es gibt klassische Elemente, ja aber sie werden geschickt gebrochen oder in neue Kontexte gesetzt. Der Zwerg ist kein Trinkfest-Comicrelief, der Nekromant kein lauter Weltenzerstörer. Stattdessen erzählt das Team Istin/Benoit eine düstere Geschichte über Gier, Macht und Verzweiflung, die sowohl Western- als auch Fantasy-Tropen nutzt, ohne sich in ihnen zu verlieren. Kein billiger Mischmasch, sondern ein echtes Crossover mit Substanz.
Ein Genre-Grenzgänger mit Charakter und Kante
West Fantasy 1 ist mehr als nur ein cleverer Titel. Es ist ein wilder Ritt durch zwei Genres, der gleichzeitig vertraut und frisch wirkt. Der Comic ist düster, dreckig und stellenweise verstörend genau so, wie man es sich von einem Mashup zwischen Tolkien und Tarantino erhofft. Ob Okaar, Kendal oder der Mann in Schwarz jede Figur hat ihre eigene Agenda und Geschichte. Sie wirken nicht wie Schablonen, sondern wie Charaktere mit Narben, Träumen und inneren Konflikten. Das macht sie spannend und glaubwürdig. Gerade den Unfall den Okaar hatte und der die Welt von Kendals Bruder zerstört hat fand ich packend und zugleich auch sehr clever in Szene gesetzt hier. Benoits Zeichnungen sind stilvoll und detailreich, schaffen Atmosphäre und Tempo zugleich. Besonders beeindruckend: die Balance zwischen brutaler Realität und magischer Überhöhung. Man möchte in jedem Panel verweilen. Die Story ist schnell, manchmal vielleicht zu schnell. Ein paar zusätzliche Seiten hätten dem Aufbau einzelner Konflikte gutgetan. Aber: Die Dynamik leidet darunter kaum, eher bleibt man neugierig auf die Fortsetzung.
Wer genug hat von klassischen Elfen-gegen-Orks-Geschichten und Western, die immer gleich enden, sollte West Fantasy eine Chance geben. Es ist anders, im besten Sinne. Und wenn die nächsten Bände das Niveau halten, könnte hier eine neue starke Serie entstehen. Ein sarkastischer Zwerg, ein zynischer Kopfgeldjäger, ein nekromantischer Albtraum verpackt in staubige Bilder und eine Story voller Dreck, Zauber und Blut. West Fantasy ist kein netter Ausritt. Es ist ein Höllenritt, aber einer, den man nicht verpassen sollte und für mich definitiv eine Empfehlung.
Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
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