Wer bist du zur Blauen Stunde? 2

Tasuku fühlt sich zunehmend wohl in der Lounge und trifft dort auf Shuuji Misora, einen jüngeren Schüler, der nur dort den Mut hat, sich feminin zu kleiden. Während Tasuku ihn unterstützen möchte, kämpft Shuuji noch mit seiner eigenen Identität – und Tasukus gut gemeinte Hilfe bringt ihn zusätzlich durcheinander.

Zwischen Selbstfindung und Unsicherheit, Band 2 geht unter die Haut

Nach dem berührenden Auftakt nimmt Wer bist du zur blauen Stunde? in Band 2 spürbar an emotionaler Tiefe zu. Die Geschichte rund um Tasuku, der langsam seinen Platz in einer queeren Community findet, bekommt durch die Einführung einer neuen Figur Shuuji Misora frischen Wind, aber auch neue Fragen. Der Manga bleibt seiner leisen, nachdenklichen Erzählweise treu, entwickelt dabei aber eine vielschichtige Dynamik, die besonders unter die Haut geht.

Willkommen zurück in der Lounge

Die Lounge bleibt auch im zweiten Band der zentrale Zufluchtsort. Ein Safe Space, in dem die Figuren Dinge aussprechen können, die sie sich draußen nicht zu sagen trauen. Hier fühlt sich Tasuku zunehmend sicherer doch mit Shuuji betritt eine Figur die Bühne, die ihn auf neue Weise herausfordert. Shuuji ist jünger, schlagfertig, stolz und doch verletzlich. Und sein Auftauchen bringt neue Perspektiven auf Identität und Ausdruck ins Spiel.

Misora: Mehr als nur eine Nebenfigur

Misora stiehlt in Band 2 fast ein wenig die Show. Ihre (oder seine?) Identitätsfrage steht im Zentrum, doch genau darin liegt die erzählerische Stärke: Shuuji weiß selbst (noch) nicht, wer ersie sein möchte. Mal nutzt Misora männliche Sprache, mal trägt ersie Mädchenkleidung. Diese innere Zerrissenheit wird nicht plump erklärt oder dramatisiert, sondern sensibel, fast tastend dargestellt. Ein echter Pluspunkt. Gerade auch dass er sie selbst nicht weiß wo die Reise hingeht, finde ich persönlich sehr sehr spannend. 

Tasuku in der Zwickmühle

Tasuku will helfen aber wie? Genau wie im ersten Band kämpft er auch diesmal mit seiner Rolle: Ist er Unterstützer, Freund, Retter? Seine wohlmeinenden Versuche, Misora zu stärken, prallen oft auf eine Wand aus Widerstand oder Unsicherheit. Der Manga zeigt dabei sehr realistisch, wie gut gemeinte Hilfe auch verunsichern kann und dass Zuhören manchmal mehr hilft als Reden.

Die große Frage: Wer darf wie sein?

Die zentrale Frage dieses Bandes lautet: Wer darf wie sein? Misora hat ihren*seinen ganz eigenen Umgang mit Gender, Mode und Ausdruck, der außerhalb der Lounge kaum Platz findet. Die Angst vor Reaktionen, vor Mobbing, vor Nicht-Akzeptanz ist ständig präsent und trotzdem wagt Shuuji erste Schritte nach draußen. Besonders intensiv ist eine Szene, in der Misora sich für einen öffentlichen Auftritt entscheidet mit Kleid. Herzklopfen garantiert.

Subtile Emotionen statt lauter Dramatik

Was den Manga so besonders macht, ist seine leise Erzählweise. Hier wird nicht geschrien, nicht mit dem Holzhammer gepredigt. Vielmehr entfalten sich Emotionen in kleinen Gesten, stillen Blicken und zögerlichen Dialogen. Die Zeichnungen von Yuhki Kamatani tun ihr Übriges zart, fein, manchmal fast schon poetisch. Genau diese Zurückhaltung macht die Geschichte so glaubwürdig.

Vielfalt, ohne Klischees

Ein großes Lob verdient der Manga für seinen Umgang mit queeren Themen. Er zeigt Vielfalt, ohne in stereotype Darstellungen zu verfallen. Jede Figur bekommt Raum, um komplex zu sein – mit Zweifeln, Ecken, Brüchen. Das betrifft nicht nur Misora und Tasuku, sondern auch die anderen Besucher*innen der Lounge, die weiterhin als Nebenfiguren präsent bleiben und die Community glaubhaft formen.

Ein Manga zum Mitfühlen und Mitdenken

Band 2 lädt erneut nicht nur zum Mitfühlen, sondern auch zum Mitdenken ein. Was bedeutet Identität? Wie sieht echte Unterstützung aus? Und wie geht man mit Menschen um, deren Erfahrungen man selbst nicht teilt? Diese Fragen stehen unausgesprochen im Raum und der Manga gibt keine einfachen Antworten, sondern fordert uns auf, selbst zu reflektieren.

Kein typischer Coming-of-Age-Manga

Wer schnelle Romanzen, klassische Schuldramen oder dramatische Outings erwartet, wird hier nicht fündig. Wer bist du zur blauen Stunde? ist ein stilles, fast schon meditatives Werk über Identität, Akzeptanz und die Schwierigkeit, sich selbst zu verstehen und anderen Raum zum Wachsen zu geben. Band 2 vertieft diese Themen und bleibt dabei ebenso feinfühlig wie herausfordernd.

Ein ehrliches, leises und doch starkes Werk in Blau

Wer bist du zur blauen Stunde? Band 2 ist ein Manga, der nachhallt. Er wirft keine Scheinwerfer auf seine Figuren, sondern lässt sie im Zwielicht der blauen Stunde leuchten, manchmal sanft, manchmal flackernd. Besonders Misora wird Vielen im Gedächtnis bleiben als Symbol für die Unsicherheit und gleichzeitig für den Mut, trotzdem man selbst sein zu wollen. Die Beziehung zwischen Tasuku und Misora entwickelt sich nicht linear. Es gibt kein klares Happy End, keine dramatische Lösung sondern viele kleine Schritte, Missverständnisse, Versuche, sich gegenseitig zu verstehen. Das macht die Geschichte so glaubhaft und menschlich. Man erkennt sich wieder oder lernt, andere Perspektiven besser zu sehen. Auch zeichnerisch bleibt der Manga außergewöhnlich: Yuhki Kamatani schafft es, mit minimalistischen Mitteln starke Gefühle zu transportieren. Die Panels wirken fast wie Standbilder einer melancholischen Erinnerung. Sie sind ruhig, oft fast wortlos, aber dafür umso ausdrucksstärker. Band 2 ist keine einfache Lektüre. Er verlangt Empathie, Aufmerksamkeit und manchmal auch das Aushalten von Unklarheit, denn so manche Figur ist noch nicht am Ende angekommen. Aber genau das macht ihn so wertvoll. In einer Zeit, in der queere Geschichten oft auf Labels reduziert werden, erzählt dieser Manga von Menschen. Echten Menschen mit echten Fragen. Kurz gesagt: Wer bist du zur blauen Stunde? Band 2 ist ein stilles, nachdenkliches Werk über Identität, Freundschaft und den Mut, nicht zu wissen, wer man ist. Und genau deshalb sollte man es gelesen haben.

Vielen Dank an den Carlsen Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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