Spider-Man – Reign 2 Das Regime

Peter Parker erwacht in einer scheinbar heilen Welt, die sich als Virtual-Reality-Gefängnis entpuppt. Befreit von Rebellen steht er vor einem folgenschweren Dilemma: Ein Gerät könnte Mary Jane retten, birgt aber das Risiko, das Multiversum zu zerstören.
Ein alter Held im Kampf gegen alte Wunden und ein Regime der Kontrolle
Willkommen im Albtraum der Zukunft
Spider-Man Reign 2 Das Regime knüpft dort an, wo das erste Kapitel dieses düsteren Spidey-Epos aufgehört hat – in einer Welt, die der Hoffnung längst den Rücken gekehrt hat. Kaare Andrews entführt uns erneut in ein alternatives New York, das nicht nur gealtert, sondern nahezu versteinert ist. Die Stadt wirkt wie ein Echo ihrer selbst, erstickt unter der Kontrolle Wilson Fisks, während Peter Parker in einem virtuellen Kokon gefangen gehalten wird. Die Eröffnungsszene in einer simulierten Idylle mit Mary Jane wirkt zunächst wie eine Rückkehr zur Normalität – ein Friedensmoment, der sich jedoch schnell als geschickte Täuschung entpuppt. Der Kontrast zwischen Traum und Realität setzt den Ton für das gesamte Werk: Hier ist nichts einfach, nichts sicher – und schon gar nicht schön.
Peter Parker, der gebrochene Held
Andrews zeigt einen Spider-Man, den wir so selten erleben: gebrochen, grau, voller Schuld und Zerrissenheit. Sein Alter ist nicht nur äußerlich sichtbar der lange Bart, der krumme Rücken sondern vor allem seelisch spürbar. Parker ist nicht mehr der jugendliche Sprücheklopfer im hautengen Anzug, sondern ein Mann, der mit den Geistern seiner Vergangenheit ringt. Und doch ist er nicht untätig: Die Begegnung mit einer geheimen Widerstandsgruppe und dem Gerät namens Spider-Core reißt ihn aus der Lethargie. Hier wird klar: Die Zeitreise ist keine Heldenmission, sondern eine Flucht oder ein letzter verzweifelter Versuch, seine Schuld zu tilgen.
Ein Multiversum zwischen Hoffnung und Zerstörung
Das Herzstück des Comics ist das moralische Dilemma: Wenn Peter die Vergangenheit ändert, kann er MJ retten – riskiert aber das gesamte Multiversum. Diese Prämisse verleiht der Geschichte eine besondere Tiefe. Es ist keine klassische Was wäre wenn? Story, sondern vielmehr eine existenzielle Frage nach dem Preis von Liebe, Schuld und Verantwortung. Andrews verwebt Science-Fiction-Elemente wie Zeitreisen und alternative Realitäten mit der Intimität persönlicher Verluste. Die Handlung erinnert streckenweise an eine umgekehrte Tragödie jeder Sieg ist nur die Ouvertüre für den nächsten Verlust.
Stilistisch kompromisslos: Bildgewalt trifft Dystopie
Kaare Andrews übernimmt nicht nur das Schreiben, sondern auch das Zeichnen und das spürt man auf jeder Seite. Sein Stil ist rau, kantig, fast schon brutal passend zur Welt, die er erschafft. Farben und Kontraste sind gezielt überzeichnet: Neonlichter schneiden durch Dunkelheit, Gesichter sind hart schattiert, und Regen fällt in Strichen wie Peitschen. Besonders eindrucksvoll sind die Panels, die Parkers Reise durch Raum und Zeit visualisieren verzerrt, fragmentiert, und doch erstaunlich klar im narrativen Fluss. Die dystopische Atmosphäre ist nicht einfach Kulisse, sondern Ausdruck der inneren Welt des Protagonisten.
Mary Jane mehr als nur Erinnerung
Trotz aller Technik und Action ist es letztlich Mary Jane, die im Mittelpunkt steht nicht als passive Muse, sondern als emotionale Konstante. In der neuen Zeitlinie lebt sie noch, und das verleiht Peter Hoffnung. Doch auch hier weicht die Realität schnell der Erkenntnis: Alles ist anders, nichts ist sicher. Die Gespräche zwischen Peter und MJ sind voller bittersüßer Wärme selten kitschig, meist schmerzhaft ehrlich. Es sind diese leisen Momente, die den Comic tragen und ihn über das Genre hinausheben.
Zeitreise mit Folgen
Während viele Zeitreise-Geschichten an innerer Logik oder erzählerischer Beliebigkeit scheitern, bleibt Reign 2 erstaunlich diszipliniert. Der Fünf-Akte-Aufbau gibt dem Band eine klare Struktur, die es erlaubt, auch komplexe Konzepte verständlich zu erzählen. Man verliert nie den Überblick, obwohl Handlungsebenen, Realitäten und Zeitlinien wechseln. Besonders gelungen: das stetige Anziehen des Tempos. Vom trägen Erwachen in der Traumwelt bis hin zum explosiven Showdown auf der Brooklyn Bridge zieht das Pacing spürbar an ganz ohne übermäßige Hektik.
Nebenfiguren mit Gewicht
Auch wenn Peter die zentrale Figur ist, gelingt es Andrews, dem Ensemble um ihn herum Tiefe zu verleihen. Der Widerstand ist kein namenloser Haufen, sondern besteht aus Menschen mit Geschichten, Verlusten und Zielen. Wilson Fisk bleibt ein überlebensgroßer Antagonist seine Kontrolle über New York ist nicht nur physisch, sondern auch psychologisch. Gerade in der Art, wie er Peter manipuliert, zeigt sich die Raffinesse seiner Schurkenrolle. Selbst altbekannte Figuren tauchen in neuen Konstellationen auf, seien es Miles Morales oder MJ und sorgen für überraschende emotionale Momente.
Opernhafte Katharsis auf der Brooklyn Bridge
Das Finale ist ein orchestraler Abgesang auf die Hoffnung mit einer Wucht, die ihresgleichen sucht. Auf den Trümmern der Brooklyn Bridge eskaliert der Konflikt ins Tragische. Es geht nicht nur um Gut gegen Böse, sondern um Verlust, Verantwortung und Opferbereitschaft. Kaare Andrews gelingt hier das Kunststück, große Action mit tiefgreifender Emotionalität zu verknüpfen. Nichts wirkt übertrieben, nichts wirkt unverdient vielmehr fühlt sich jede Explosion wie ein Echo innerer Zerrissenheit an.
Ein Comic wie ein Faustschlag, aber mit Herz
Spider-Man Reign 2 ist kein leichter Comic. Es ist ein schweres Werk, emotional fordernd, visuell düster und gerade deshalb so gut. Wer einen klassischen Superhelden-Comic mit Schurkenklopperei sucht, wird hier wenig Freude finden. Wer sich aber auf einen gebrochenen, alten Helden einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die abliefert. Der Band lebt vom Kontrast: zwischen Hoffnung und Desillusion, zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Peter Parkers Reise ist nicht die eines strahlenden Retters, sondern die eines Mannes, der noch einmal alles verlieren muss, um vielleicht doch etwas zu gewinnen. Kaare Andrews erzählt das mit einer Souveränität, die zeigt, wie viel Kraft in solcher Art Geschichte stecken.
Inhaltlich dicht, stilistisch kompromisslos, emotional tief das sind die drei Säulen, auf denen Reign 2steht. Es ist ein Buch, das man nicht mal eben nebenbei liest. Es will, dass man innehält, dass man fühlt, dass man überlegt und genau darin liegt seine Stärke. Reign 2 ist kein Neustart, sondern ein Abschied. Und was für einer. Kaare Andrews hat mit diesem Band nicht einfach nur eine Fortsetzung geschaffen, sondern ein starkes Kapitel einer Geschichte; die vielleicht noch nicht am Ende angekommen ist.
Vielen Dank an Panini Comics für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars
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