Die Narben, die uns einen

Kyonosuke und Akira, beide von ihrem Umfeld verletzt, finden Halt ineinander und kämpfen gemeinsam für Akzeptanz und Selbstliebe.
Eine Liebesgeschichte, die unter die Haut geht
Mit Die Narben, die uns einen bringt der Splitter Verlag einen Manga auf den deutschen Markt, der alles andere als leichte Kost ist und genau das ist seine große Stärke. Die Geschichte von Kyonosuke und Akira ist keine typische Teenie-Romanze mit süßen Missverständnissen und erster Verliebtheit. Stattdessen liefert uns das Werk eine einfühlsame, zutiefst menschliche Erzählung über Schmerz, Anderssein und das Bedürfnis nach einem sicheren Ort innerlich wie äußerlich.
Zwei Schicksale, eine Flucht
Im Zentrum stehen Kyonosuke, dessen Gesicht durch eine Transplantation entstellt ist, und Akira, ein trans Mädchen, das sich tagtäglich gegen Gewalt und Ablehnung behaupten muss. Zwei Jugendliche, die nicht nur unter dem ständigen Druck von außen stehen, sondern auch mit ihrem eigenen Selbstbild ringen. Ihre Begegnung ist wie ein Luftholen inmitten eines Sturms keine kitschige Liebe auf den ersten Blick, sondern ein tastendes, vorsichtiges Annähern zweier verletzter Seelen.
Empathie statt Mitleid
Was den Manga besonders stark macht, ist sein respektvoller Umgang mit den Themen. Weder Kyonosukes Narbe noch Akiras Transition werden zum reinen Plotdevice degradiert. Die Geschichte instrumentalisiert ihr Leid nicht, sondern lädt zur Empathie ein. Als Leser wird man nicht in eine passive Beobachterrolle gedrängt, sondern beginnt zu verstehen warum Ausgrenzung so weh tut, wie tief psychische Narben gehen können, und wie viel Mut es braucht, man selbst zu sein.
Visuelle Tiefe und feine Zwischentöne
Zeichnerisch ist der Manga dezent, aber wirkungsvoll. Besonders die Mimik der Figuren fängt Emotionen sensibel ein. Kein übertriebenes Drama, keine ausufernden Splashpages stattdessen ruhige Panels, stille Momente und ein bewusster Umgang mit Bildsprache. Manchmal sagt ein Blick mehr als Worte, und genau darin liegt die visuelle Stärke dieses Bandes. Die Reduktion auf das Wesentliche unterstützt die emotionale Wirkung.
Kein Märchen und gerade deshalb so wertvoll
Die Narben, die uns einen ist keine Geschichte, in der am Ende alles gut wird. Die Welt, aus der Kyonosuke und Akira fliehen, bleibt grausam. Doch genau darin liegt die Glaubwürdigkeit des Plots: Die beiden schaffen es nicht, alles hinter sich zu lassen aber sie lernen, sich gegenseitig zu stützen. Der Manga romantisiert keine Flucht, sondern zeigt, wie schwer es ist, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, wenn man nie gelernt hat, sich selbst zu lieben.
Gesellschaftskritik mit Fingerspitzengefühl
Neben der persönlichen Geschichte ist der Manga auch ein leiser Kommentar auf gesellschaftliche Ausgrenzung und familiäre Gewalt. Akiras Situation ist besonders erschütternd die Misshandlung durch den eigenen Vater ist kein plattes Klischee, sondern wird in ihrer ganzen Tragweite dargestellt. Auch das Mobbing, das Kyonosuke erfährt, ist beklemmend real. Es gibt keine Schuldigen, die einfach bestraft werden nur Strukturen, die versagen.
Stärke durch Verletzlichkeit
Das Spannende an der Erzählweise ist, dass sie nie in Hoffnungslosigkeit versinkt. Trotz aller Schwere wirkt Die Narben, die uns einen nie erdrückend. Das liegt auch an der Entwicklung der Hauptfiguren. Sie sind verletzlich, aber niemals schwach. Gerade in ihrer Zartheit liegt eine stille Stärke, die das Herz berührt. Es geht nicht darum, unverwundbar zu sein sondern darum, sich trotz der Narben zu öffnen.
Dialoge, die bleiben
Die Dialoge sind schlicht, aber treffen genau ins Mark. Es sind keine hochphilosophischen Monologe, sondern kleine, echte Sätze
manchmal unbeholfen, manchmal poetisch. Gerade in den leisen Momenten, wenn Kyonosuke und Akira nur nebeneinandersitzen und ein paar Worte austauschen, wird klar: Kommunikation ist oft mehr als Reden. Wer selbst schon einmal mit seelischem Schmerz zu kämpfen hatte, wird hier viel wiedererkennen.
Kein Buch für nebenbei
Die Narben, die uns einen ist kein Titel, den man mal eben zwischen zwei Bahnhaltestellen liest. Man sollte sich Zeit nehmen. Nicht nur wegen der Thematik, sondern auch, weil der Manga dazu einlädt, nachzudenken über sich selbst, über die Menschen um einen herum und über die vielen Geschichten, die man nie zu hören bekommt. Es ist ein Werk, das fordert, aber auch viel zurückgibt. Gerade da ich selbst Vater bin hat mich hier auch noch mal anders fühlen lassen, denn im Grunde egal welchen Weg am Ende meine Kinder gehen werden, ich möchte nur dass sie glücklich sind und für sich ihren richtigen Weg gehen. Der Manga hat mich da an der ein oder anderen Stelle erwischt, denn ich fand es absolut berührend und es hat mich auch ein stückweit wütend gemacht zu sehen, wie viel Ablehnung beide, beziehungsweise alle drei bekommen.
Eine emotionale Reise mit Wucht und Würde
Die Narben, die uns einen ist mehr als eine tragische Romanze zweier Außenseiter. Es ist eine Geschichte über den Versuch, sich in einer Welt zurechtzufinden, die oft keinen Platz für Menschen macht, die anders sind. Der Manga ist dabei weder pathetisch noch moralinsauer er erzählt ehrlich, still und unerschrocken. Die Stärke liegt in seiner Sensibilität. Sowohl in der Darstellung von Trauma als auch in der Entwicklung der Liebesbeziehung wird mit einem Maß an Feingefühl gearbeitet, das selten ist. Die Story bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Schmerz und verliert dabei nie die Balance. Man spürt, dass hier Menschen mit echter Erfahrung oder tiefer Empathie am Werk waren. Ein besonderes Lob verdient der Splitter Verlag dafür, dieses Werk ins Programm genommen zu haben. Es ist kein sicherer Bestseller, kein Popcorn-Titel, sondern ein leises, mutiges Projekt. Und genau solche Geschichten brauchen wir mehr denn je in Zeiten, in denen Diversität oft noch als Trend statt als Realität verstanden wird.
Wer sich auf die Geschichte einlässt, wird nicht nur eine bewegende Erzählung erleben, sondern auch mit einem neuen Blick auf Themen vor denen viele
Die Augen verschließen. Die Narben, die uns einen tut weh. Aber auf eine gute Weise. Eine Weise, die uns wachsen lässt.
Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
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