Tinkerville Blues

TINKERVILLE BLUES schildert Episoden aus dem Leben der Bewohner einer US-Kleinstadt zwischen 1940 und 1973, in denen Hoffnungen, Ängste und Schicksalsschläge ineinandergreifen und Figuren aus DIE SPINNE in Tinkerville aufeinandertreffen.

Willkommen in Tinkerville ein Ort voller Schatten und Sehnsucht

Wenn man die ersten Seiten von Tinkerville Blues aufschlägt, hat man sofort das Gefühl, in eine andere Zeit katapultiert zu werden. Die staubige Luft einer Kleinstadt im Nirgendwo der USA, irgendwo zwischen 1940 und den frühen Siebzigern, legt sich wie ein Film über die Panels. Es ist kein freundlicher Ort, aber ein faszinierender einer, in dem die Träume klein, die Enttäuschungen groß und die Schicksale miteinander verflochten sind.

Episoden, die zusammen ein Ganzes ergeben

Der Comic besteht aus mehreren Episoden, die man durchaus einzeln lesen könnte. Doch erst im Zusammenspiel entfaltet sich der eigentliche Zauber. Figuren wie Amber, Jimmy, der Pfarrer oder der Sargmacher bleiben im Gedächtnis und ihre jeweilige Geschichten funktionieren wirklich gut. Dadurch entsteht ein Netz aus Geschichten, das sich organisch ineinanderfügt und den Eindruck erweckt, als würde man Seite für Seite tiefer in Tinkerville selbst eintauchen.

Kleine Leute, große Dramen

Im Mittelpunkt stehen keine Helden, sondern Menschen, die mit Zweifeln, Ängsten und Niederlagen ringen. Es geht um Selbsttäuschungen, Hoffnungen und Obsessionen, die jeder in irgendeiner Form kennt. Das macht den Comic so nahbar. Hier gibt es keine pathetischen Weltrettungen, sondern stille Kämpfe die umso lauter nachhallen, weil sie aus dem echten Leben gegriffen wirken.

Zeitreise mit rauem Charme

Der Zeitraum von 1940 bis 1973 ist nicht zufällig gewählt. Es ist eine Epoche, in der Amerika im Wandel begriffen war – gesellschaftlich, kulturell und politisch. Tinkerville Blues fängt diese Atmosphäre perfekt ein. Sei es durch die Kleidung, die Architektur oder die subtile Einbindung von historischen Ereignissen: Man spürt stets, dass die Geschichten fest in ihrer Zeit verankert sind, ohne dabei in plumpe Nostalgie abzudriften.

Die Handschrift der Macher

Andreas Möller und Michael Mikolajczak haben hier eine Arbeit abgeliefert, die sowohl erzählerisch als auch visuell überzeugt. Der Zeichenstil ist rau, manchmal fast sehr rau, aber genau das passt zum Ton der Geschichten. Keine überglatten Striche, keine Hochglanz-Ästhetik sondern Bilder, die die Brüche und Narben der Figuren spiegeln. Text und Bild greifen so ineinander, dass man das Gefühl hat, die Figuren wirklich zu hören und zu sehen.

Ein Mosaik aus Leben

Tinkerville Blues ist kein Comic, den man mal eben so wegliest. Er verlangt Aufmerksamkeit, Geduld und auch eine gewisse Bereitschaft, sich auf melancholische Stimmungen einzulassen. Dafür wird man belohnt mit einem Werk, das auf unaufdringliche Weise tief berührt. Jede Episode ist ein kleines Puzzleteil, das gemeinsam ein Bild von einer Stadt ergibt, die so fiktiv wie vertraut ist. Der Comic zeigt, wie universell die Themen sind, die er behandelt: Verlust, Hoffnung, Illusionen, die Suche nach Halt. Obwohl die Figuren in einer Kleinstadt im amerikanischen Nirgendwo leben, erkennt man sich selbst oder Menschen aus dem eigenen Umfeld in ihren Kämpfen wieder. Genau darin liegt die Stärke des Buches.

Gleichzeitig muss man sagen: Tinkerville Blues ist nichts für Leser, die Action, Tempo oder spektakuläre Wendungen erwarten. Hier dominiert die Langsamkeit, das Innehalten, die stille Beobachtung. Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine Intensität, die weit über das Übliche hinausgeht. Besonders beeindruckend ist, wie Möller und Mikolajczak es schaffen, Figuren aus ihrer früheren Graphic Novel Die Spinne aufzugreifen und sie in diesem neuen Werk weiterleben zu lassen und das, ohne dass man Die Spinne zwingend gelesen haben muss. Unterm Strich ist Tinkerville Blues ein Werk, das nachhallt. Es ist ein Comic, der keine schnellen Antworten liefert, sondern Fragen stellt, die man als Leser mitnimmt. Ein Buch, das man vielleicht nicht jedem empfehlen würde – aber das für jene, die sich auf die melancholische Reise einlassen, zu einem kleinen Schatz werden kann.

Vielen Dank an Kult Comics für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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