Der Passagier der Polarlys

Ein Mord auf See, ein Kapitän mit düsterer Vorahnung und steigende Spannung: Auf der Fahrt nach Norwegen muss Kapitän Petersen nach dem Tod eines getarnten Polizisten selbst ermitteln. Die Graphic Novel ist eine atmosphärische Adaption von Georges Simenons Frühwerk Der Passagier der Polarlys.

Eisige See, dunkle Vorahnungen

Wenn man Der Passagier der Polarlys aufschlägt, ist man sofort mittendrin: in der Kälte des Nordens, im fahlen Licht der Schiffskabinen, in den nervösen Blicken der Passagiere. Doch davor ist man erstmal noch an Land unterwegs und da muss ich sagen, kam ich etwas schwieriger rein und man versteht erst Richtung Ende den Zusammenhang. Die Atmosphäre ist von Beginn an dicht und bedrückend. Kapitän Petersen ahnt Unheil, noch bevor das Schiff ablegt und wir bekommen auch schnell das Gefühl, dass sein Gefühl täuscht ihn nicht. Der Comic schafft es auf beeindruckende Weise, diese unterschwellige Spannung bildlich und erzählerisch aufzugreifen.

Simenon auf dem Comicdeck

Georges Simenons Romanvorlage stammt aus einer Zeit, in der Krimis noch nicht auf große Twists, sondern auf psychologischen Druck setzten. Das merkt man auch der Comic-Adaption von José-Louis Bocquet und Christian Cailleaux an. Die Geschichte entfaltet sich langsam, aber stetig sie lebt von ihren Figuren, ihren Blicken, ihren Zweifeln und ihren ruhigen Momenten. Bocquet bleibt der Vorlage treu, schafft es aber, ihr durch das Medium Comic eine eigene Dynamik zu verleihen.

Visuelle Eleganz trifft frostige Stimmung

Christian Cailleaux liefert hier eine wirklich beeindruckende Zeichenleistung ab. Die Panels sind oft großflächig, die Perspektiven wechseln geschickt, das Spiel mit Licht und Schatten ist großes Kino . Besonders die Darstellung des Meeres, der kahlen Decks und der bedrückenden Enge der Kabinen verstärken das Gefühl von Isolation und Gefahr. Man spürt förmlich die Kälte, das Knarren des Schiffsrumpfs, das Misstrauen der Crew. Es ist ein Comic, der mehr zeigt als erzählt und gerade das macht ihn so stark.

Ein Mord, viele Fragen

Als schließlich ein Toter an Bord entdeckt wird, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Es ist kein lauter Mord, keine spektakuläre Tat, aber gerade die Ruhe, mit der Petersen dem Rätsel auf den Grund geht, ist faszinierend. Die Frage, wer den Mord begangen hat, wird zur Nebensache. Viel spannender ist: Warum schweigen so viele? Was verbergen die Passagiere? Was verschweigt vielleicht sogar Petersen selbst? Der Comic spielt geschickt mit diesen Andeutungen, ohne je plump zu wirken.

Zwischen Melancholie und Misstrauen

Ein besonderer Reiz des Comics liegt in seiner Stimmung. Statt auf dramatische Action setzt er auf die schleichende Eskalation. Jede Figur scheint ein Geheimnis zu haben, jeder Blick könnte tödlich sein. Es ist fast so, als würde das Schiff nicht nur durch norwegische Gewässer, sondern durch ein Dickicht aus Misstrauen und Angst fahren. Die Dialoge sind dabei knapp, aber treffend. Cailleaux lässt den Figuren Raum zum Schweigen und das ist oft beredter als jede Erklärung.

Der Kapitän als Detektiv

Kapitän Petersen ist eine klassische Simenon-Figur: stoisch, schweigsam, aber innerlich zerrissen. Er steht zwischen Pflichtgefühl und innerer Unruhe, zwischen Seemannsehre und detektivischem Spürsinn. Seine Rolle als Ermittler wirkt nie aufgesetzt, sondern ergibt sich natürlich aus der Situation. Gerade die Situation und sein Handeln, macht ihn zu einem glaubwürdigen Protagonisten und das gelingt Bocquet und Cailleaux, ohne in Klischees zu verfallen.

Keine Explosionen, dafür klaustrophobische Spannung

Wer hier klassische Krimi-Spannung erwartet, wird vielleicht überrascht sein. Der Passagier der Polarlys ist kein Thriller im Hollywood-Stil, sondern ein psychologischer Krimi, der seine Kraft aus der Reduktion zieht. Die Spannung entsteht nicht durch laute Szenen, sondern durch das, was unausgesprochen bleibt. Das ist anspruchsvoll aber auch sehr lohnend und zugleich auch nicht für jeden etwas. Wer Klassik mag und auf Spannung die sich mehr und mehr aufbaut, der ist hier absolut richtig. 

Hommage und eigenständiges Werk zugleich

Bocquet und Cailleaux gelingt der Spagat zwischen Treue zur literarischen Vorlage und der Freiheit, das Comicmedium voll auszunutzen. Sie zeigen, wie ein literarischer Krimi durch Zeichnungen und Panelstruktur eine zusätzliche Ebene gewinnen kann. Das macht diese Adaption nicht nur zu einer Hommage an Simenon, sondern auch zu einem eigenständigen Kunstwerk. Besonders schön: die liebevollen Details, die maritime Ästhetik und der feine Humor, der manchmal durchblitzt.

Ein Krimi mit Tiefe –und ohne Netz und doppelten Boden

Der Passagier der Polarlys überzeugt nicht durch Action, sondern durch Atmosphäre. Der Comic zieht uns in einen Strudel aus Kälte, Verdacht und schweigender Bedrohung und das auf fast hypnotische Weise. Wer Georges Simenon liebt, wird hier fündig. Wer visuell starke, erzählerisch dichte Comics mag, sowieso. Christian Cailleaux’ Illustrationen tragen das Werk. Sie sind kunstvoll, aber nie überladen. Sie erzählen genauso viel wie der Text – und manchmal mehr. Bocquets Adaptionsarbeit ist klug, respektvoll und mutig genug, Simenon nicht einfach nachzuerzählen, sondern neu zu interpretieren.

Dieser Comic verlangt Aufmerksamkeit, Geduld und eine gewisse Lust am literarischen Rätsel. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem stimmungsvollen, nuancierten Werk belohnt, das weit mehr ist als eine einfache Krimi-Adaption.

Ein atmosphärischer, künstlerisch anspruchsvoller und zugleich zugänglicher Comic-Krimi, der das Medium Comic voll ausschöpft. Insgesamt ein Band, der ruhig daherkommt und dennoch abliefert. 

Vielen dsnk an den Carlsen Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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