Das Mietshaus
Sieben Nachbarn: Isaac, Amanda, Justin, Felix, Tanya, Bob und Gary. Sie leben im selben Mietshaus, doch kennen sich kaum. Hat das Haus sie zusammengeführt? Als sie eine Tür entdecken und die dahinterliegenden Tunnel betreten, ahnen sie nicht, dass Er bereits auf sie wartet…
Das Mietshaus: Der Albtraum hinter der Tür
Jeff Lemire und Andrea Sorrentino haben mit Das Mietshaus ein neues Kapitel ihres Bone Orchard Mythos eröffnet, das unsere mit einem weiteren Stück ihres unheimlichen Universums in den Bann zieht. Dieses abgeschlossene Werk verspricht einen Horrorcomic, der weit über das hinausgeht, was man erwartet. Doch kann es dem Ruf gerecht werden? Hier meine ausführliche Rezension.
Ein Haus, sieben Geheimnisse
Die Grundprämisse von Das Mietshaus könnte kaum schlichter sein: Sieben Nachbarn, die sich kaum kennen, leben in einem unscheinbaren Wohngebäude. Doch von der ersten Seite an spürt man die unterschwellige Bedrohung. Es ist diese drückende Alltäglichkeit, die Lemire und Sorrentino so meisterhaft nutzen, um ein Gefühl von Unbehagen zu erzeugen. Jeder der Figuren wirkt auf subtile Weise unvollständig, als hätte das Haus ihnen etwas entzogen oder etwas Unerwünschtes hinzugefügt.
Was mir an den Figuren am besten gefällt, jede der Figuren hat seine eigene Geschichte und dabei auch seinen ganz eigenen Hintergrund und damit auch seine ganz eigenen Probleme. Gerade diese Individualität und auch ihre eigene Herangehensweise an ihre Schicksale fand ich hier gut ausgearbeitet und jeder Figur eine bestimmte Tiefe.
Die Tür, die man nicht öffnen sollte
Natürlich dauert es nicht lange, bis unsere sieben Protagonisten eine Tür entdecken, die besser verschlossen geblieben wäre. Die Szenen, in denen sie die Entscheidung treffen, die unbekannten Tunnel dahinter zu betreten, sind ein Paradebeispiel für Lemires Gespür für Suspense. Die Charaktere handeln nicht aus Neugier, sondern fast wie ferngesteuert – als ob sie nie eine Wahl hatten. Hier wird deutlich: Das Mietshaus ist nicht nur ein Gebäude, sondern ein Akteur der Geschichte, vielleicht sogar ihr wahrer Protagonist. Gerade was die 7 nun ab dem Punkt erleben fand ich spannend und man spielt hier zwar auch viel mit klassischem Horror, zugleich bedient man sich aber auch sehr schön an Action.
Visuelle Albträume von Andrea Sorrentino
Andrea Sorrentinos Artwork ist, wie schon in Gideon Falls, das Herzstück dieses Comics. Seine Fähigkeit, mit Licht, Schatten und einer oft wandelbaren Panelstruktur zu spielen, sorgt dafür, dass wir uns genauso verloren fühlen wie die Figuren. Jede Seite fühlt sich wie ein Stück eines größeren Puzzles an, das bewusst unvollständig bleibt. Sorrentino spielt dabei aber nicht nur mit der Struktur an sich die hier sehr wandelbar ist, sondern er liefert hier auch wieder ganz ganz starke Bilder ab.
Ein Horror, der unter die Haut geht
Der Horror in Das Mietshaus ist kein platter Jump-Scare-Terror, sondern tiefsitzend und psychologisch. Die Geschichte lässt viel Raum für Interpretationen und spielt mit der Frage, ob die Figuren wirklich etwas Übernatürliches erleben oder einfach dem Wahnsinn verfallen. Dieser Ansatz erinnert an Klassiker wie The Shining oder Silent Hill und zeigt, dass Lemire und Sorrentino wahre Meister ihres Fachs sind.
Figuren mit Fragmenten einer Vergangenheit
Die sieben Nachbarn Isaac, Amanda, Justin, Felix, Tanya, Bob und Gary wirken zunächst wie leere Hüllen. Doch im Laufe der Geschichte bekommen sie Tiefe, allerdings nie genug, um sie völlig zu verstehen. Ihre Handlungen und Motivationen bleiben oft nebulös, was perfekt zur Atmosphäre des Comics passt. Statt Antworten zu geben, werfen die Figuren weitere Fragen auf: Warum sind sie hier? Haben sie das Haus gewählt, oder hat das Haus sie gewählt?
Gerade Felix wirkt zu Beginn wie eine 0815 Figur, die es eben für den Plot braucht und nicht mehr, aber er bekommt deutlich mehr tiefe und seine Geschichte ist eine wahnsinnig faszinierende und für den Mythos selbst gar nicht so unwichtig, dabei führt er einige losen Fäden der letzten Veröffentlichungen zusammen und bringt uns dabei auch tiefer in den Kaninchenbau.
Ein weiterer Stein im Bone Orchard Mythos
Das Mietshaus ist Teil des größeren Bone Orchard Mythos, einer Welt voller düsterer Mysterien, die Lemire und Sorrentino über mehrere Werke hinweg aufbauen. Obwohl es sich um eine abgeschlossene Geschichte handelt, gibt es zahlreiche Hinweise auf das größere Universum. Für Fans der Reihe ein Fest, für Neueinsteiger vielleicht etwas verwirrend. Doch keine Sorge: Auch ohne Vorwissen funktioniert die vorliegende Veröffentlichung einwandfrei, denn der Band baut wie oben genannt den Mythos an sich etwas aus.
Die Sprache des Unbekannten
Lemires Dialoge und Monologe sind so präzise wie beunruhigend. Die Figuren sprechen oft mehr mit sich selbst als miteinander, was die Isolation und die klaustrophobische Atmosphäre verstärkt. Gleichzeitig schafft es Lemire, das Unaussprechliche in Worte zu fassen, ohne die Mystik zu zerstören. Die Texte und Bilder arbeiten hier Hand in Hand, um ein Gefühl des Grauens zu erzeugen, das lange nachwirkt.
Für wen ist Das Mietshaus geeignet?
Wenn du düstere, mysteriöse Geschichten liebst und bereit bist, dich auf eine narrative Reise voller Rätsel einzulassen, dann ist Das Mietshaus genau das Richtige für dich. Es ist kein Comic für nebenbei, sondern ein Werk, das dich fordert und belohnt – mit Gänsehaut, Unbehagen und der Sehnsucht, tiefer in den Bone Orchard Mythos einzutauchen.
Ein Fazit voller Schatten und Tiefe
Mit Das Mietshaus präsentieren Jeff Lemire und Andrea Sorrentino ein Werk, das wie ein dunkler Sog funktioniert: Es zieht uns hinein, lässt uns verstört zurück, und doch können wir uns ihm nicht entziehen. Dieser Comic ist kein kurzweiliger Schrecken, sondern ein feinsinniges Stück Horror, das vor allem auf Atmosphäre und psychologischen Druck setzt. Wer glaubt, eine simple Geisterhaus-Geschichte serviert zu bekommen, wird schnell eines Besseren belehrt. Stattdessen tauchen wir ein in ein Netz aus Geheimnissen, das sich um die sieben Nachbarn und ihr bösartiges Zuhause spinnt. Es geht nicht nur darum, was sie erleben, sondern auch darum, was sie nicht sehen oder vielleicht nicht sehen wollen. Lemire erschafft Charaktere, die auf den ersten Blick alltäglich erscheinen, deren Brüche und Unsicherheiten sich aber nach und nach offenbaren. Jeder bringt sein eigenes Gepäck mit, und doch scheint das Haus ihnen allen auf unheimliche Weise gleich zuzusetzen. Natürlich darf die visuelle Umsetzung von Andrea Sorrentino nicht unerwähnt bleiben. Sein Artwork ist nicht nur handwerklich stark, sondern trägt entscheidend zur Erzählung bei. Die Bildkomposition, der Einsatz von Farben und Licht sowie die unkonventionellen Panelstrukturen erzeugen eine surreale Stimmung, die perfekt zum Erzählton passt.
Für Leser der bisherigen Werke sind die Verweise und Erweiterungen des Universums eine echte Bereicherung. Felix‘ Rolle etwa hebt sich nicht nur erzählerisch ab, sondern führt den Mythos weiter und deutet darauf hin, dass Lemire und Sorrentino noch viele Geschichten in dieser düsteren Welt zu erzählen haben. Insgesamt ein starker Band, der mich durchweg unterhalten hat.
Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Neueste Kommentare