Clear

In naher Zukunft gestalten Menschen die Welt per Interface nach ihren Wünschen. Privatdetektiv Sam Dunes lebt als einer der wenigen ohne diese Technik. Der Tod seiner Ex-Frau Kendra erschüttert ihn – bis er eine letzte Nachricht von ihr erhält: „Ich wurde ermordet“…

Ein Leben im Schleier Willkommen in der Zukunft

Clear von Scott Snyder und Francis Manapul führt uns in ein San Francisco der nahen Zukunft, in dem die Menschheit eine neue Art von Realität erlebt. Durch die Schleier Technologie kann jeder seine Umwelt nach eigenen Vorlieben gestalten: Das bedeutet, dass die gleiche Stadt für den einen als futuristische Cyberpunk-Welt erscheinen mag, für den anderen wie ein post-apokalyptisches Ödland. Diese Prämisse ist nicht nur faszinierend, sondern auch unglaublich aktuell, in Zeiten, in denen Virtual Reality und Metaversen an Bedeutung gewinnen. Aber was passiert, wenn jemand nicht mitmacht und lieber die Welt in ihrer unverstellten Tristesse betrachtet? Hier setzt die Geschichte von Sam Dunes an.

Sam Dunes: Ein Detektiv der alten Schule

Sam Dunes ist ein klassischer Hard-Boiled-Detektiv, wie wir ihn aus alten Noir-Filmen kennen. Die Tatsache, dass er in der Clear Ansicht lebt, macht ihn zu einem Außenseiter in einer Welt, die voller Illusionen steckt. Er sieht die Dinge, wie sie sind: düster, kaputt und ungeschönt. Seine Entscheidung, ohne Schleier zu leben, verleiht ihm eine gewisse moralische Integrität und macht ihn gleichzeitig zu einer tragischen Figur. Seine Sturheit, seine Unangepasstheit und sein zynischer Blick auf die Welt geben ihm eine starke Präsenz, die im Comic hervorragend umgesetzt wird. Zugleich kommt es hier aber auch zu einer nicht umspannenden Wendung. 

Die düstere Atmosphäre eines neuen San Franciscos

Manapuls San Francisco ist ein visuelles Brett, das zwischen verschiedenen Stilen und Welten wechselt. Die Stadt ist eine faszinierende Mischung aus Cyberpunk-Ästhetik, Futurismus und dystopischer Härte. Durch die Schleier-Technologie kann die Umgebung nahtlos zwischen einem noir-ähnlichen Schauplatz, einem Steampunk-Universum und vielem mehr wechseln. Die Zeichnungen sind detailreich, beeindruckend und spiegeln sowohl die technologische Vielfalt als auch die innere Zerrissenheit der Figuren wider. Die Stadt ist dabei fast ein eigener Charakter, der mit jeder neuen Szene ein anderes Gesicht zeigt.

Der Schleier und die Suche nach Wahrheit

Die Technologie der Schleier ist mehr als nur ein Gimmick, sie steht für die zunehmende Trennung zwischen Mensch und Realität. Das Konzept wirft Fragen auf, die über die Handlung hinausgehen: Was ist noch wahr, wenn jeder nur das sieht, was er sehen will? Sam Dunes’ Leben ohne Schleier ist nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern auch eine Form von Widerstand gegen die verzerrte Wahrnehmung der Gesellschaft. Dieser philosophische Unterton verleiht der Story eine zusätzliche Tiefe, die Snyder gut in die Handlung einwebt.

Ein Mordfall und alte Wunden

Die Handlung nimmt Fahrt auf, als Dunes erfährt, dass seine Ex-Frau Kendra, die vermeintlich Selbstmord begangen hat, ihm eine letzte Nachricht hinterlassen hat: Ich wurde ermordet. Dieser Satz wird zum Katalysator für Dunes, sich tief in die Vergangenheit und die Abgründe der Menschen, die ihm nahe standen, zu stürzen. Die persönliche Verbindung zum Mordopfer verleiht der Geschichte eine persönliche Note, die den Leser sofort emotional packt. Man spürt die Trauer und die Wut, die Dunes antreiben und die ihn zugleich an den Rand des Abgrunds führen. Zugleich bekommen wir hier sehr starke Rückblicke in die Beziehung der beiden und auch die Beziehung zu seinem verstorbenen Sohn ist eine sehr besondere. 

Snyder und Manapul: Ein Dreamteam für Clear

Scott Snyder als Autor und Francis Manapul als Zeichner ergänzen sich perfekt. Snyder, bekannt für seine Arbeit bei DC, bringt hier eine spannende Mischung aus Krimi und SciFi-Dystopie auf den Punkt, während Manapuls Artwork der Geschichte Leben einhaucht. Die Stärken beider Künstler kommen besonders bei den dynamischen Action-Sequenzen und den intensiven, emotionalen Momenten zum Tragen. Manapul nutzt das volle Potenzial der Schleier-Technologie, um visuelle Kontraste zu schaffen, die die Handlung noch eindringlicher machen.

Ein Fest für die Augen: Die künstlerische Vielfalt

Manapul schöpft in Clear künstlerisch aus dem Vollen. Durch die Schleier-Technologie kann er unterschiedliche Stile und Farbpaletten in einem einzigen Werk vereinen. Von schwarz-weißer Film-Noir-Optik bis hin zu leuchtenden, futuristischen Farben, die visuelle Vielfalt ist atemberaubend und gibt dem Comic eine besondere Dynamik. Besonders hervorzuheben ist die Art und Weise, wie die Schleier für uns sichtbar gemacht werden: Man sieht, was die Figuren sehen,an der ein oder anderen Stelle und dass macht sehr viel Laune. 

Gesellschaftskritik und Relevanz

Obwohl Clear ein unterhaltsamer Krimi ist, wirft er auch kritische Fragen auf. In einer Welt, die sich zunehmend in virtuelle Räume flüchtet, in der Schleier in Form von Social Media und personalisierten Feeds unseren Alltag bestimmen, trifft Snyders Dystopie einen Nerv. Die Frage, was wahr ist und was nur eine Fassade, ist in der heutigen Gesellschaft relevanter denn je. Clear bietet damit nicht nur Spannung, sondern auch einen subtilen Kommentar zur Mediengesellschaft und zum Verlust von Authentizität.

Der Mix aus Krimi und SciFi: Ein gelungenes Genre-Crossover

Clear bedient sich der klassischen Elemente eines Krimis, kombiniert sie aber mit SciFi und dystopischen Themen. Dieser Genre-Mix funktioniert erstaunlich gut und sorgt dafür, dass das Werk gleichermaßen spannend und tiefgründig ist. Die Ermittlungen von Sam Dunes, seine Konfrontation mit der Gesellschaft und die Suche nach der Wahrheit fesseln von Anfang bis Ende. Snyder beweist, dass er ein Meister darin ist, verschiedene Genres zu kombinieren, ohne dass die Geschichte Langeweile aufkommen lässt. 

Fazit

Clear von Scott Snyder und Francis Manapul ist ein beeindruckendes Comic-Erlebnis, das uns in eine faszinierende Zukunftsvision eines vollständig vernetzten San Franciscos entführt. Sam Dunes ist ein klassischer Noir-Detektiv, der nicht in die Welt der Schleier eintaucht und sich damit von seiner Umgebung abhebt. Er ist eine hartgesottene, moralisch integrere Figur, die die schmutzige Wahrheit der Stadt erträgt, anstatt sich in Fantasiewelten zu flüchten. 

Die Kulisse von San Francisco ist in Clear ein besonderer Blickfang. Dank der visuellen Umsetzung von Francis Manapul wechseln die Szenen mühelos zwischen verschiedenen Stilen. Die Handlung nimmt eine düstere Wendung, als Sam eine letzte Nachricht seiner Ex-Frau Kendra erhält: „Ich wurde ermordet.“ Dieser Moment bringt die persönliche Ebene ins Spiel und verleiht dem Krimi eine starke emotionale Tiefe. Für Sam wird die Aufklärung des Falls zur Suche nach Antworten und Bewältigung seiner Vergangenheit. Kendras Tod entfacht alte Wunden und führt ihn durch Erinnerungen und Verluste, die ihn als Charakter formen.

Die kreative Zusammenarbeit von Scott Snyder und Francis Manapul macht Clear zu einem eindrucksvollen Werk, dass für mich ein Highlight war.

Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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