Lawmen of the West

Lawmen of the West erzählt in 14 authentischen Geschichten vom harten Alltag der Gesetzeshüter im Westen der USA zwischen 1813 und 1902 – von bekannten und unbekannten Figuren wie Sheriffs, Marshals, Richtern oder Kopfgeldjägern, die das Gesetz oft mit brutalen Mitteln durchsetzten.

Zwischen Dreck, Blei und Gesetz

Lawmen of the West ist kein typischer Western-Comic. Er ist eine schonungslose Anthologie von Geschichten über Gesetzeshüter, die mehr mit Grautönen arbeiten als mit Schwarz und Weiß. Auf 14 Episoden verteilt, erzählt dieses Werk von Tiburce Oger die Schicksale der Männer und selten auch Frauen die im 19. Jahrhundert das Gesetz in die wilde, ungezähmte Landschaft des Westens trugen. Es ist ein Band über Helden ohne Glanz, über Männer mit Sternen an der Brust und Blut an den Händen.

Vom Minuteman bis zum Marshal

Die Figuren in diesem Comic könnten unterschiedlicher kaum sein: Manche von ihnen sind bekannte Legenden, andere wiederum gänzlich unbekannte Fußnoten der Geschichte. Was sie verbindet, ist ihre Rolle als Vollstrecker eines Gesetzes, das oft mehr mit Macht als mit Gerechtigkeit zu tun hatte. Ob Kopfgeldjäger, Sheriffs, Richter oder Henker, Oger verleiht jeder Figur ein Gesicht und eine Geschichte, die hängen bleibt. Gerade diese Vielseitigkeit macht den Band zu einem starken Werk aus Moral, Gewalt und Tragik.

Erzählerisches Können: Oger bleibt Oger

Tiburce Oger bleibt sich treu. Wer bereits Go West Young Man oder Indians! gelesen hat, wird hier erneut das Talent des Autors spüren, historische Begebenheiten mit einer gewissen poetischen Tiefe zu versehen. Seine Geschichten sind oft rau, manchmal fast zynisch, aber nie platt oder reißerisch. Er urteilt nicht – er zeigt. Dabei liegt die Kraft oft in der Kürze: Manche Episoden brauchen keine zehn Seiten, um tiefer zu treffen als so mancher 300-Seiten-Roman.

Visuelle Wucht 14 Künstler, ein Stilgefühl

Was Lawmen of the West so besonders macht, ist nicht nur die inhaltliche Bandbreite, sondern auch die visuelle Vielfalt. Über ein Dutzend Zeichner darunter Schwergewichte wie Ralph Meyer, Jef oder Paul Gastine geben den Geschichten ihren je eigenen Ton. Und doch wirkt der Band nicht zerrissen. Im Gegenteil: Die künstlerische Handschrift ist divers, aber stimmig. Mal grob und kantig, mal detailverliebt und fast malerisch – jede Story bekommt das Gesicht, das sie verdient.

Authentizität statt Romantisierung

Wer hier romantische Westernklischees sucht, ist fehl am Platz. Lawmen of the West verzichtet fast vollständig auf heroische Inszenierung. Stattdessen bekommt man staubige Straßen, dreckige Stiefel und moralische Abgründe. Die Gewalt ist explizit, aber nie Selbstzweck. Es geht nicht um Actionszenen, sondern um Konsequenzen – was es bedeutet, das Gesetz zu vertreten, wenn niemand da ist, der kontrolliert, wie man es auslegt.

Der Schatten des Galgens

Ein wiederkehrendes Motiv des Comics ist die Todesstrafe und der Umgang mit ihr. Galgen, Hinrichtungen und Lynchjustiz ziehen sich wie ein dunkler Faden durch mehrere Geschichten. Auch das zeigt die Ambivalenz der dargestellten Welt: Das Gesetz ist nicht immer gerecht, und der, der es ausführt, ist nicht automatisch der Gute. Diese kritische Auseinandersetzung hebt Lawmen of the Westwohltuend von vielen Genrebeiträgen ab.

Eine Sammlung, kein Roman

Der episodische Charakter des Bandes ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits erlaubt er eine große Vielfalt und viele Perspektiven. Andererseits bleiben manche Figuren nur kurze Schlaglichter, die man gerne länger begleitet hätte. Alle, die durchgehende Handlungen bevorzugen, müssen sich auf das Format einlassen. Wer das tut, wird mit dichten, atmosphärischen Kurzgeschichten belohnt.

Für wen ist das was?

Lawmen of the West ist ideal für alle, die sich für Western interessieren, aber genug von klassischen Cowboy-vs-Indianer-Narrativen haben. Auch alle, die den künstlerischen Facettenreichtum schätzen, kommen hier voll auf ihre Kosten. Geschichtsinteressierte finden hier einen spannenden Zugang zur Gewaltgeschichte des amerikanischen Westens – ohne moralischen Zeigefinger, aber mit viel Nachhall.

Der Wilde Westen ungeschönt, unvergesslich, unbarmherzig

Lawmen of the West ist eine kompromisslose Reise in das Herz der Finsternis und zwar nicht durch die Wildnis, sondern durch die Seelen der Männer, die das Gesetz brachten. Oder was sie dafür hielten. Es ist ein Buch, das weh tun will und weh tun darf. Die Geschichten hinterlassen Spuren, nicht nur durch ihre Brutalität, sondern durch ihre Menschlichkeit. Denn was Oger und sein Team zeigen, ist keine Heldenverehrung, sondern eine schonungslose Annäherung an die Wahrheit. Dass dabei künstlerisch auf höchstem Niveau gearbeitet wird, macht den Band zu einem Gesamtkunstwerk. Es ist erstaunlich, wie harmonisch sich so viele unterschiedliche Zeichenstile zusammenfügen, ohne dass wir je den roten Faden verlieren. Man kann sich in den Bildern verlieren oder in den Geschichten. Am besten in beiden. Es gibt keinen klaren Helden, keine einfache Moral, keine klare Linie. Und genau das macht Lawmen of the West so stark. Es ist ein Buch für alle, die keine einfachen Antworten wollen, sondern bereit sind, sich auf Ambivalenz einzulassen. Der Comic fordert und belohnt gleichermaßen. Wer mit den Western-Anthologien von Oger vertraut ist, wird diesen Band sowieso verschlingen. Wer neu einsteigt, findet hier vielleicht sogar den besten Zugang zu seinem Werk gerade weil jede Geschichte für sich stehen kann. Am Ende bleibt ein Comic, der liefert wie der letzte Schuss in der stillen Prärie. Und das ist genau das, was guter Western leisten sollte.

Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert