Die letzte Einstellung

Im Spätsommer 1944 wird der verbotene Autor Heinz Hoffmann nach einem Luftangriff als Ghostwriter für einen NS-Propagandafilm rekrutiert. Im Exil auf dem Land ringt er mit seinem Gewissen und seiner Verstrickung ins System.
Ein filmreifes Drama mit historischem Tiefgang
Mit Die letzte Einstellung legt Isabel Kreitz einen Comic vor, die sich meisterhaft zwischen Historie und Psychogramm bewegt. Angesiedelt im Berlin des Spätsommers 1944, kurz vor dem Untergang des Dritten Reichs, fängt Kreitz die beklemmende Atmosphäre einer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs ein. Dabei gelingt ihr nicht nur ein präziser Blick auf die inneren Konflikte eines Schriftstellers im Berufsverbot, sondern auch ein vielschichtiger Kommentar auf die Rolle der Kunst in totalitären Systemen. Das Setting ein zerstörtes Berlin, eine umgesiedelte Filmcrew, eine gespenstisch künstliche Scheinwelt auf dem Land wirkt beinahe surreal und doch zutiefst authentisch. Dabei geht es hier nicht nur um Heinz Hoffmann, sondern auch sehr viel um Erika, deren Leben sich ständig wandelt.
Heinz Hoffmann: Vom verbotenen Autor zum Komplizen?
Im Mittelpunkt steht Heinz Hoffmann, eine Figur, die unschwer an Erich Kästner erinnert, aber eigene Konturen entwickelt. Einst gefeierter Schriftsteller, nun systematisch an den Rand gedrängt, vegetiert er als sogenannter innerer Emigrant vor sich hin halb im Widerstand gegen das System, halb im Überlebensmodus. Als ein Luftangriff ihn obdachlos macht, wird die Vergangenheit lebendig: Erika Harms, einst seine Geliebte, heute UFA-Mitarbeiterin, holt ihn zurück ins Spiel mit verlockender Perspektive, die er selbst lange ablehnt. Kreitz gelingt es, Hoffmanns Zwiespalt intensiv und nachvollziehbar zu inszenieren. Erika liefert dabei durchgängig ab und ist selbst ebenfalls eine der Hauptfiguren.
Das Kino des Dritten Reichs eine Scheinwelt der Durchhalteparolen
Der Durchhaltefilm, an dem Hoffmann mitschreiben soll, ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Erzählung, zumindest ab einem gewissen Punkt, dass Symbol für ein Regime, das selbst in den letzten Zügen noch um Deutungshoheit ringt. Besonders eindrucksvoll sind die Szenen, in denen die Filmproduktion ins Grüne ausgelagert wird. Während Bomben auf die Städte fallen, simulieren Darsteller und Regisseure Normalität, als ließe sich das Ende durch eine überzeugende Kulisse noch aufhalten. Diese Parallelwelt wird zur makabren Farce eine Mischung aus Propaganda, Selbstbetrug und Theaterdonner. Kreitz spielt hier virtuos mit der Symbolik von Film und Realität: Wer führt Regie? Wer ist Zuschauer? Am Ende bleibt auch die Frage welche Botschaft hatte der Film im Kern wirklich ?
Stilistisch souverän: Kreitz’ Zeichenkunst zwischen Detail und Atmosphäre
Kreitz‘ bekannt klarer, realistisch gezeichneter Stil bringt die Atmosphäre der 1940er Jahre authentisch aufs Papier. Mit sicherem Strich fängt sie sowohl die Zerstörung Berlins als auch die sterile Kulisse des umgesiedelten Filmsets ein. Besonders stark sind die mimischen Details Hoffmanns müdes Gesicht, Erikas kontrollierte Kühle, die Unsicherheit der Statisten. Die Panels sind dicht, aber nie überladen, das Seitenlayout angenehm leserlich. Die Farbgebung, meist in gedeckten Tönen gehalten, unterstreicht die Schwermut und Tristesse der Zeit. Der Band ist komplett schwarz weiß und doch angenehm illustriert. Es ist eine düstere Welt, aber keine, in der alles in Grautönen verschwimmt es gibt Nuancen, Andeutungen, auch Momente bitterer Ironie.
Eine Geschichte voller Grautöne
Was Die letzte Einstellung besonders lesenswert macht, ist die konsequente Weigerung, einfache Urteile zu fällen. Weder Heinz Hoffmann noch Erika Harms werden als Helden oder Schurken gezeichnet. Ihre Entscheidungen sind fragwürdig, aber nachvollziehbar. Der Comic stellt unbequeme Fragen: Wo endet Überleben, wo beginnt Mitläufertum? Ist Rückzug ein stiller Protest oder bloß Feigheit? Und gibt es einen Weg, inmitten eines totalitären Systems moralisch integer zu bleiben, ohne sich selbst zu verlieren? Kreitz zwingt uns zur Auseinandersetzung, ohne moralisch mit dem Zeigefinger zu winken.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Eine zeitlose Relevanz
Obwohl die Geschichte tief in der Vergangenheit verwurzelt ist, wirkt sie erschreckend aktuell. Die Frage, wie viel Anpassung ein Mensch erträgt – oder braucht –, um zu überleben, stellt sich auch heute, wenn es um staatlichen Druck, Selbstzensur oder politische Vereinnahmung geht. Kreitz verankert ihre Erzählung damit in einem breiten gesellschaftlichen Kontext und macht deutlich: Die Geschichte wiederholt sich nicht – aber sie reimt sich.
Ein intimes Kammerspiel im Schatten der Geschichte
Trotz der großen historischen Kulisse bleibt Die letzte Einstellung im Kern ein Kammerspiel: Es geht um zwei Menschen, ihre verpassten Chancen, ihre Schuld, ihre Hoffnung. Besonders die Dialoge zwischen Heinz und Erika sind stark geschrieben sie balancieren zwischen Nähe und Abwehr, Vertrauen und Misstrauen. In ihnen offenbart sich das ganze Dilemma jener Zeit: der Wunsch, etwas zu bewirken, und die Angst, dafür alles zu verlieren. Kreitz gelingt es, diese emotionale Spannung auf jeder Seite spürbar zu machen.
Ein Comic, der nachwirkt
Die letzte Einstellung ist mehr als eine historischer Comic, es ist ein Spiegel der menschlichen Zerbrechlichkeit im Angesicht politischer Willkür. Isabel Kreitz zeigt, wie schnell moralische Klarheit in einer Welt der Repression verschwimmen kann. Der Comic lässt seine Figuren scheitern, überleben, sich schuldig machen, ohne sie bloßzustellen. Gerade diese Ambivalenz macht ihn so kraftvoll. Er ist kein Werk, das sich schnell konsumieren lässt. Der Band verlangt Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung. Doch wer sich auf dieses vielschichtige Werk einlässt, wird mit einem Verständnis für eine Zeit belohnt, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Kreitz gelingt das Kunststück, Geschichte nicht nur nachzuerzählen, sondern fühlbar zu machen mit Respekt, aber ohne falsches Pathos. Was ist Wahrheit, was Inszenierung? Die Frage wird nicht nur Heinz gestellt, sondern auch uns.
Am Ende bleibt Die letzte Einstellung ein leiser, aber nachdrücklicher Appell an Integrität, Menschlichkeit und kritisches Denken. Und ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie viel literarische und politische Kraft im Medium Comic steckt.
Vielen Dank an den Reprodukt Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
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