Das Unglück am Djatlow-Pass


Heute habe ich was feines aus dem Hause Splitter für euch dabei. 

Im Januar 1959 startet eine Gruppe erfahrener Alpinisten eine Expedition im Uralgebirge, von der keiner zurückkehrt. Einen Monat später hilft Staatsanwalt Lev Ivanov bei der Suche nach den Leichen und stößt auf viele Rätsel: Warum haben sich die Bergsteiger getrennt? Warum waren einige ohne Schuhe im Schnee? Warum weisen manche Verletzungen auf einen Angriff hin? Und warum scheint niemand an der Aufklärung interessiert zu sein?

Eine Reise ins Ungewisse: Das Unglück am Djatlow-Pass

Der Comic Das Unglück am Djatlow-Pass von Cédric Mayen und Jandro Gonzalez nimmt sich einer der mysteriösesten Tragödien des 20. Jahrhunderts an und verwandelt sie in ein fesselndes, visuell beeindruckendes Leseerlebnis. Dieses Werk hebt sich durch seine einzigartige Mischung aus historischer Treue und spekulativer Fiktion ab und bietet uns einen tiefen Einblick in das bis heute ungeklärte Unglück, das sich 1959 im Uralgebirge ereignete. Dabei braucht man finde ich für den Band keinerlei Vorwissen und bekommt am Ende eine schöne Portion Bonusmaterial spendiert. 

Historischer Hintergrund als Grundgerüst

Die Geschichte basiert auf realen Ereignissen: Im Winter 1959 verschwand eine Gruppe von neun erfahrenen Alpinisten im Uralgebirge unter mysteriösen Umständen. Was genau geschah, bleibt bis heute ein Rätsel, umso mehr, da die Leichen teils schwer verletzt und unter bizarren Bedingungen gefunden wurden. Mayen und Gonzalez nutzen diese offene Fragen als Grundlage für ihre Erzählung und geben ihr so eine faszinierende Dichte.

Der Erzähler: Staatsanwalt Lev Ivanov

Ein großer Pluspunkt des Comics ist die Einführung von Staatsanwalt Lev Ivanov als zentraler Charakter. Ivanov, in der Realität der leitende Ermittler des Djatlow-Falls, wird in dieser Geschichte zum Schnüffler von Swerdlowsk, einem klugen und hartnäckigen Mann, der entschlossen ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Seine Perspektive ermöglicht es uns, die Ermittlungen hautnah mitzuerleben und gleichzeitig die Verwirrungen und Hindernisse zu spüren, auf die Ivanov stößt.

Die grafische Umsetzung: Schneebedeckte Panoramen und düstere Details

Jandro Gonzalez hat in dieser Graphic Novel eine bemerkenswerte Arbeit geleistet. Seine Zeichnungen sind lebendig und detailliert, fangen die Kälte und Isolation der verschneiten Landschaften meisterhaft ein und tragen zur düsteren Atmosphäre bei. Die Schneestürme und die unwirtliche Umgebung des Uralgebirges werden so realistisch dargestellt, dass man beim Lesen fast die Kälte spürt. Besonders die Szenen, die die verwitterten Überreste des Camps zeigen, sind eindringlich und voller Spannung.

Atmosphäre und Spannung

Die dichte Atmosphäre des Comics trägt entscheidend zur Spannung bei. Mayen und Gonzalez verstehen es, ein Gefühl der Ungewissheit und Bedrohung zu erzeugen, das sich durch die gesamte Erzählung zieht. Die klaustrophobischen Darstellungen des schneebedeckten Waldes und die bedrohliche Stille, die die Ermittlungen begleiten, schaffen eine nervenaufreibende Lektüre, die den Leser bis zur letzten Seite in Atem hält.

Historische Treue vs. Künstlerische Freiheit

Ein faszinierender Aspekt des Comics ist, wie die Autoren historische Fakten und kreative Fiktion verflechten. Während sie sich an die bekannten Details des Falls halten, erlauben sie sich auch künstlerische Freiheiten, um den Fluss zu fördern. So wird der Comic zu einer Art interaktiver Untersuchung, bei der wir in die Rolle eines Detektivs schlüpfen und selbst versuchen, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Denn so manches mal habe ich mich auch dabei erwischt, dass ich mir selbst überlegt habe, was da genau passiert sein könnte oder was man an anderer Stelle gesehen hat. 

Die unheimlichen Wunden und die Frage nach dem Warum

Eine der schockierendsten Enthüllungen des Comics sind die Verletzungen der Bergsteiger. Einige hatten Knochenbrüche und innere Verletzungen, die mit einem enormen Druck in Verbindung gebracht werden könnten, während andere Zeichen von Strahlung aufwiesen. Die visuelle Darstellung dieser Wunden ist beeindruckend und grausam zugleich, und wirft gleichzeitig die Frage auf: Was geschah wirklich in jener Nacht? 

Das politische Klima der Sowjetunion als Schatten über der Ermittlung

Ein weiterer spannender Aspekt ist die Darstellung des politischen Klimas der Zeit. Die Autoren zeigen, wie Ivanovs Ermittlungen von höheren Behörden blockiert werden und wie die sowjetische Bürokratie und Geheimhaltung die Wahrheit verschleiern könnten. Diese politische Dimension verleiht der Geschichte eine zusätzliche Ebene der Komplexität und Tiefe.

Charakterentwicklung und psychologische Tiefe

Während die Hauptgeschichte von den Ereignissen rund um den Djatlow-Pass dominiert wird, legen Mayen und Gonzalez großen Wert auf die psychologische Tiefe ihrer Charaktere. Vor allem Ivanovs Wandel von einem gesetzestreuen Staatsanwalt zu einem besessenen Suchenden nach der Wahrheit ist eindrucksvoll gestaltet. Seine Zweifel, seine wachsende Frustration und sein schleichendes Misstrauen gegenüber seinen Vorgesetzten machen ihn zu einer greifbaren Figur.

Die Rolle der Natur als antagonistischer Charakter

Die Natur spielt in diesem Comic eine antagonistische Rolle. Die schneebedeckten Berge, die eisigen Winde und die undurchdringliche Dunkelheit des Waldes wirken fast wie lebendige Wesen, die den Fortschritt der Ermittlungen aktiv behindern. Diese Darstellung der Natur als feindselige Kraft unterstreicht die extreme Isolation und die Gefahr, die die Bergsteiger erlebten.

Der spekulative Ansatz: Übernatürliches oder Rationale Erklärung?

Eines der hervorstechendsten Merkmale des Comics ist sein spekulativer Ansatz. Obwohl die Geschichte fest in realen Ereignissen verankert ist, lassen die Autoren Raum für Interpretationen, die von rationalen Erklärungen wie Lawinen bis hin zu übernatürlichen Theorien reichen. Diese Offenheit ermöglicht es uns, die eigene Fantasie spielen zu lassen und verschiedene Szenarien zu durchdenken.

Die letzte Enthüllung: Eine ambivalente Auflösung

Das Ende des Comics lässt uns mit mehr Fragen als Antworten zurück. Die Auflösung ist ambivalent und bleibt vage genug, um die Mystik des Djatlow-Passes zu wahren. Diese Entscheidung der Autoren, die Geschichte ohne definitive Erklärung zu beenden, ist mutig und respektiert die wahre Natur des Falles, der bis heute ungelöst ist.

Ein Plädoyer für die menschliche Neugier und Entschlossenheit

Durch die Linse von Ivanovs Ermittlung und die Darstellung der Bergsteiger als mutige, aber letztlich tragische Figuren, stellt der Comic grundlegende Fragen über die menschliche Natur, Neugier und die Suche nach Wahrheit. Er lädt uns ein, über die Grenzen des Wissens und die Kraft des menschlichen Willens nachzudenken.

Fazit

 Der Band ist eine fesselnde Mischung aus Realität und Fiktion, die uns auf eine packende Reise in das Unbekannte mitnimmt. Mit einem spannenden Erzähler, Staatsanwalt Lev Ivanov, erleben wir die Ermittlungen des mysteriösen Vorfalls hautnah und teilen seine Frustrationen und Zweifel in einer Zeit, in der Geheimhaltung und politische Intrigen die Norm waren.

Die Zeichnungen von Jandro Gonzalez beeindruckt durch ihre Fähigkeit, die Kälte und Isolation der Uralgebirge spürbar zu machen. Die Zeichnungen sind so lebendig und detailliert, dass man fast den eisigen Wind auf der Haut fühlen kann. Mayen und Gonzalez halten sich eng an die bekannten Details des Falls, lassen aber auch Raum für eigene Interpretationen. Man ertappt sich immer wieder dabei, wie man versucht, die Puzzleteile zusammenzusetzen und sich eigene Theorien darüber zurechtlegt, was in jener schicksalhaften Nacht wirklich geschah. Das Werk lässt den Leser mit mehr Fragen als Antworten zurück und bleibt damit der echten Geschichte des Djatlow-Passes treu, die bis heute ungeklärt ist. Diese offene und ambivalente Herangehensweise respektiert nicht nur die historischen Ereignisse, sondern fördert auch die Fantasie und ermutigt zu spekulativen Gedanken. Was mir besonders gut gesellen hat ist, dass der Band ein schönes Portfolio an Bonusmaterial. Für mich persönlich stellt der Band eine Empfehlung dar. 

Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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