Agatha Christie Classics: Hercule Poirots Weihnachten 

Heiligabend 1937: Der tyrannische Simeon Lee wird ermordet aufgefunden. Hercule Poirot übernimmt die Ermittlungen und stößt auf eine Familie voller Hass und Misstrauen jeder hätte ein Motiv.

Ein Mord unterm Weihnachtsbaum

Weihnachten, Familie, Geschenke und ein Mord. Wer Agatha Christie kennt, weiß, dass es selten bei friedlicher Stimmung bleibt. Im dritten Band der Comicreihe Agatha Christie Classics nehmen uns Autorin Isabelle Bottier und Zeichner Callixte mit zu einem der wohl bittersten Familienfeste der Krimigeschichte. Der Patriarch Simeon Lee, ein herrschsüchtiger Tyrann, wird brutal ermordet, und niemand in der Familie ist frei von Motiven. Schon auf den ersten Seiten spürt man die Spannung, die in den Mauern des Hauses liegt ein perfektes Setup für Hercule Poirot, der zufällig in der Nähe weilt.

Der Klassiker in neuem Gewand

Hercule Poirots Weihnachten ist ursprünglich 1938 erschienen und gehört längst zu den Klassikern im umfangreichen Christie-Kanon. Dass dieser Stoff nun als Comic umgesetzt wird, ist ein mutiger Schritt, denn die Balance zwischen Krimiatmosphäre, Charakterzeichnung und Bildsprache will erst einmal gefunden werden. Zum Glück gelingt es Bottier und Callixte, die Essenz der Vorlage einzufangen, ohne in platte Übertreibungen zu verfallen. Stattdessen bekommt man eine spannende, modern wirkende Nacherzählung, die trotzdem respektvoll mit Christies Werk umgeht.

Zeichnungen zwischen Drama und Eleganz

Callixte hat einen sehr klaren, fast schon klassischen Stil, der perfekt zu einer Erzählung im historischen Setting passt. Die Figuren sind deutlich erkennbar, Mimik und Gestik transportieren wunderbar die unterschwellige Spannung zwischen den Charakteren. Besonders gelungen sind die dunklen Schatten und Farbverläufe, die das viktorianische Herrenhaus mit einer bedrückenden Aura versehen. Man spürt beim Lesen die Enge der Räume und die unterschwellige Aggression der Figuren.

Figuren voller Verdacht

Was Agatha Christie auszeichnet, ist nicht nur das raffinierte Verbrechen, sondern auch die Figurenkonstellation. Jeder in der Familie Lee wirkt verdächtig, jeder trägt eine Maske, und jeder könnte den Mord begangen haben. Im Comic wird diese Vielschichtigkeit angenehm verdichtet: Man muss nicht jeden Nebensatz kennen, um die Spannung nachzuvollziehen. Gerade für alle, die Christies Original vielleicht (noch) nicht kennen, ist diese Umsetzung ein leicht zugänglicher Einstieg in die Welt des Kleinen Belgier. 

Poirot als Comicfigur

Es ist gar nicht so einfach, Poirot überzeugend zu zeichnen, ohne ihn zur Karikatur verkommen zu lassen. Callixte entscheidet sich für eine elegante, fast minimalistische Darstellung: der markante Schnurrbart, die aufrechte Haltung, die präzisen Bewegungen alles typisch Poirot, aber nicht übertrieben. Im Zusammenspiel mit Bottiers Dialogen bekommt man einen Detektiv, der genau so exzentrisch, aber auch scharfzüngig wirkt, wie man ihn aus den Romanen kennt.

Weihnachtsstimmung mit dunkler Note

Natürlich ist es kein klassisches Weihnachtsmärchen ganz im Gegenteil. Der Comic schafft es aber, die festliche Kulisse bewusst als Kontrast einzusetzen: Glänzende Dekoration trifft auf blutige Tat, fröhliche Zusammenkunft auf Misstrauen und Gier. Dadurch verstärkt sich die bittere Note der Geschichte. Gerade das macht den Comic so reizvoll: Er ist gleichzeitig düster und doch auf seine Art gemütlich perfekt für eine Lektüre an kalten Abenden.

Die Anpassung an das Medium

Eine der großen Stärken dieser Comic-Adaption liegt darin, wie geschickt die Vorlage auf das Medium heruntergebrochen wird. Längere Beschreibungen aus dem Roman werden durch Szenenbilder ersetzt, die Handlung bleibt straff und verliert dabei nicht an Tiefe. Wer den Roman kennt, wird zwar merken, dass Details gekürzt wurden, aber die Essenz bleibt erhalten: ein clever konstruiertes Whodunit mit überraschender Auflösung.

Ein Fest für Krimifans

Für alle die, die mit Agatha Christie bisher wenig Berührung hatten, ist dieser Comic ein idealer Einstieg. Die Handlung ist kompakt, die Figuren sind klar erkennbar, und der Spannungsbogen funktioniert auch ohne Vorkenntnisse. Man braucht keine 300 Seiten Prosa, um die Faszination eines Poirot-Krimis zu verstehen hier reichen einige Panels. Natürlich ersetzt der Comic nicht die sprachliche Raffinesse Christies, aber er bietet eine frische Perspektive. Besonders interessant ist es, vertraute Szenen im Bild zu sehen wie Poirots stille Beobachtungen oder die konfliktreichen Familiengespräche. Callixte gelingt es, sowohl die historische Atmosphäre als auch die psychologische Spannung einzufangen. Die Bildsprache arbeitet subtil mit Symbolen und Kontrasten, sodass man beim Lesen oft innehalten möchte, um eine Seite noch einmal wirken zu lassen. Natürlich ist eine Adaption immer ein Balanceakt. Einige Nuancen der Figuren gehen im Tempo des Comics verloren, und wer den Roman kennt, wird merken, dass die Auflösung etwas gerafft wirkt. Doch das sind Kleinigkeiten, die den Gesamteindruck kaum schmälern. Insgesamt hat mir der Band wirklich gut gefallen und konnte mich auch durchweg unterhalten. Am Ende bleibt festzuhalten: Hercule Poirots Weihnachten als Comic ist keine bloße Nacherzählung, sondern eine eigenständige Interpretation, die Respekt vor der Vorlage zeigt. Ein stimmungsvoller, spannender Band, der beweist, dass Agatha Christie auch im Comicformat noch lange nicht ausermittelt ist.

Vielen Dank an den Carlsen Verlag für Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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