PIGPEN 1

Ein junger Mann erwacht ohne Erinnerungen an einem paradiesischen Strand. Eine scheinbar freundliche Familie nimmt ihn auf, doch bald erkennt er, dass hinter der Idylle ein unheimliches Netz aus Täuschung und Wahnsinn lauert – der Traum wird zum Albtraum.
Ein Strand, der zu perfekt ist
Schon der Einstieg von PIGPEN 1 wirkt wie eine Mischung aus Traum und Warnsignal: Ein junger Mann erwacht an einem paradiesischen Strand, bar jeder Erinnerung. Der Ort strahlt eine postkartenhafte Ruhe aus, doch darunter kribbelt etwas Unheimliches. Diese Dualität aus Schönheit und Bedrohung macht den Anfang direkt spannend und zieht einen ohne Umschweife in die Geschichte.
Das Rätsel um die verlorene Identität
Die Amnesie des Protagonisten ist nicht nur ein klassisches Thriller-Element, sondern hier das Zentrum der gesamten Erfahrung. Seine Verwirrung ist spürbar, seine verzweifelten Versuche, sich festzuhalten, irgendwo eine Antwort zu finden, wirken sehr menschlich. Man fiebert mit ihm, obwohl man genauso blind tappt wie er.
Eine Familie, die zu freundlich ist
Die Familie, die ihn aufnimmt, ist warmherzig, hilfsbereit und fast schon verdächtig gastfreundlich. Je mehr man sie kennenlernt, desto mehr kratzt es im Hinterkopf: Da stimmt etwas nicht. Irgendetwas an ihrem Verhalten wirkt leicht verzogen, wie ein Lächeln, das eine Sekunde zu lange anhält. Kim schafft es grandios, aus kleinen Momenten eine riesige Unruhe zu bauen.
Atmosphäre, die sich langsam verdunkelt
Was als sonniges Idyll beginnt, verwandelt sich Schritt für Schritt in etwas klaustrophobisches. Keine Schockmomente, keine plötzlichen Monster – sondern dieses langsame, kriechende Gefühl, dass unter der Oberfläche etwas modert. Die Spannung setzt sich wie Nebel fest und bleibt bis zum letzten Panel bestehen.
SICKs Illustrationen als perfekter Verstärker
Die bunten, kräftigen Zeichnungen von SICK wirken anfangs fast zu lebhaft für ein Psychodrama. Aber genau das macht den Stil so effektiv: Die Farben verleihen dem Horror eine unangenehme Fremdheit. Wenn der Ton dann ernst wird, knallen diese Kontraste umso härter und erzeugen ein Gefühl von Desorientierung – genau wie der Protagonist es durchlebt.
Westliche Leserichtung, aber koreanische DNA
Der Webtoon-Manhwa ist farbig und in westlicher Leserichtung gesetzt, was ihn sehr einsteigerfreundlich macht. Gleichzeitig bleibt er in seiner Erzählweise typisch koreanisch: Er baut Spannung geduldig auf, setzt auf psychologischen Terror statt plakativen Horror und arbeitet mit subtilen visuellen Hinweisen. Wer koreanische Thriller liebt, wird sich hier sofort zuhause fühlen.
Mystery, Horror und ein Hauch Surrealismus
Je weiter man liest, desto deutlicher wird, dass PIGPEN 1 nicht nur ein Thriller ist. Es gibt Anzeichen von Surrealismus, psychologische Fragmente, symbolische Bilder, die man erst viel später versteht – oder glaubt, zu verstehen. Dieser Mix macht das Lesen wie ein stetiges Suchen nach Puzzleteilen, bei dem jede neue Erkenntnis gleichzeitig eine neue Frage erzeugt.
Ein Band, der viel verspricht
Obwohl dies der erste von insgesamt fünf Bänden ist, fühlt er sich nicht wie ein bloßer Auftakt an, sondern wie ein bewusster Abstieg in ein Labyrinth. Nichts wird wirklich beantwortet, aber alles deutet auf etwas deutlich Größeres hin. Man spürt, wie sich Fäden spannen, die erst später zusammenlaufen werden.
Besonderheiten der Veröffentlichung
Für Sammler gibt es in der ersten Auflage eine exklusive Photocard, dazu ein Glow-in-the-Dark-Element auf dem Cover, was perfekt zu der düsteren, leicht neonhaften Stimmung des Manhwas passt. Und obwohl die Reihe farbig ist, wirkt sie nie bunt im klassischen Comic-Sinn – auch die Produktion unterstützt diese merkwürdig-düstere Aura hervorragend.
Ein Auftakt, der sofort fesselt
PIGPEN 1 schafft etwas, das viele Thriller erst später erreichen: Es packt uns von der ersten Seite an. Nicht durch Action oder große Twists, sondern durch das Gefühl, dass man in eine Welt geworfen wird, in der nichts so ist, wie es scheint. Dieser Einstieg ist für einen Reihenauftakt ungewöhnlich kraftvoll und zeigt, dass Carnby Kim genau weiß, wie man Spannung von Null auf Hundert erzeugt.
Die Stärke des Manga liegt klar im psychologischen Druck, der sich langsam aufbaut. Der Horror entsteht aus Blicken, Pausen, merkwürdig normalen Handlungen – und natürlich aus der Frage: Wem kann man trauen? Diese Art von Horror ist subtil, aber wirkungsvoll, und hebt PIGPEN von vielen anderen Mystery-Manhwas ab, die stärker auf Tempo setzen. SICKs Zeichnungen spielen eine entscheidende Rolle dabei, dass der Band so intensiv wirkt. Der namenlose junge Mann ist kein Actionheld, kein Ermittler, niemand mit besonderen Fähigkeiten und genau das macht seine Perspektive so packend. Seine Verwirrung ist unsere Verwirrung. Die Familie, die dem Protagonisten Unterschlupf gewährt, ist eines der besten Beispiele dafür, wie Inkonsistenzen Spannung erzeugen können. Keine Figur wirkt flach, aber auch niemand fühlt sich völlig greifbar an. Auch wenn PIGPEN 1nur der erste von fünf Bänden ist, wirkt er nicht wie ein reiner Prolog, sondern wie ein solides Kapitel in einem großen Rätsel. Das Worldbuilding beginnt sich zu entfalten, ohne zu viel preiszugeben, und man hat am Ende das Gefühl: Etwas Großes steht bevor. Wer Geschichten liebt, die langsam unter die Haut kriechen, ist hier genau richtig. PIGPEN richtet sich an alle, die Atmosphäre über Blut stellen, Spannung über Hektik, und psychologische Tiefe über stumpfe Schockeffekte. Der Band zeigt, dass Thriller auch ohne laute Inszenierung unglaublich intensiv sein können – manchmal ist Flüstern eben lauter als Schreien.
Vielen Dank an den Carlsen Verlag für die Vereitelung des Rezensionsexemplars.
Neueste Kommentare