Der letzte Tag des Howard Philipps Lovecraft
Der Mann, der als H. P. Lovecraft in die Geschichte eingehen wird, liegt im Sterben. Der Krebs in seinem Darm besiegelt sein Schicksal, seine letzten Stunden verbringt der Schriftsteller von Morphin benebelt in einem Krankenhausbett. Ein Besucher bittet die Krankenschwester, zu ihm gelassen zu werden, selbst wenn Lovecraft längst nicht mehr ansprechbar ist. Randolph Carter ist im Besitz eines merkwürdigen Tagebuchs, und er will der Chronist des letzten Tages des Howard Phillips Lovecraft sein.
Kenner des Cthulhu-Mythos werden hellhörig, denn Randolph Carter, Student der Miskatonic-Universität und unerschütterlicher Rationalist, ist das Alter Ego des Schriftstellers in seinem eigenen Werk… kurzum: fiktiv. »Der letzte Tag von Howard Phillips Lovecraft« ist kein minutiöser Bericht über das Ende des enigmatischsten aller Horror-Literaten. Diese Graphic Novel erkundet den Geist des Autors mit rauschhaften Bildstrecken, rätselhaften Charakteren und in einem Spannungsfeld zwischen kaleidoskopischem Traum und grauenhafter Realität. Ein einzigartiges Meisterwerk der Comic-Kunst von Romuald Giulivo und Jakub Rebelka (»Origins«, »Judas«).
Rezension zu Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft
H. P. Lovecraft der Name allein ruft Bilder uralter Götter, kosmischer Schrecken und unaussprechlicher Wesen hervor. Doch Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft ist keine gewöhnliche Biografie über den berühmten Autor. Statt eines nüchternen Rückblicks auf sein Leben erwartet uns eine surreale Reise in die Tiefen seines Geistes irgendwo zwischen Fiebertraum, Realität und Mythos. Autor Romuald Giulivo und Zeichner Jakub Rebelka erschaffen eine Graphic Novel, die mehr ist als nur eine Erzählung über Lovecrafts Tod. Sie ist ein Kaleidoskop aus Albträumen, Wahnsinn und der Frage, wo die Grenze zwischen Fiktion und Wahrheit verläuft.
Ein Sterbender, ein Besucher und ein Tagebuch
Die Geschichte beginnt mit Lovecraft auf dem Sterbebett. Krebs hat seinen Körper zerfressen, Morphin benebelt seinen Geist. Er liegt in einem Krankenhaus in Providence, Rhode Island, unfähig zu sprechen oder sich zu bewegen. Doch dann taucht eine mysteriöse Gestalt auf: Randolph Carter.
Kenner von Lovecrafts Werk wissen sofort: Randolph Carter ist nicht real. Er ist eine literarische Figur, das Alter Ego des Autors, der Protagonist vieler seiner Geschichten. Doch hier, in den letzten Stunden Lovecrafts, ist Carter lebendig und er hat ein Tagebuch dabei. Ein Tagebuch, das nicht nur Lovecrafts Leben dokumentiert, sondern vielleicht noch mehr enthält: einen letzten Blick auf das, was hinter dem Schleier der Realität lauert.
Traum oder Wirklichkeit?
Was folgt, ist keine klassische Erzählung, sondern eine Reise durch den zerrütteten Geist Lovecrafts. Die Graphic Novel springt zwischen Erinnerungen, Fantasien und düsteren Visionen hin und her. Realität und Fiktion verschmelzen. Randolph Carter wird zum Führer durch Lovecrafts letzte Gedanken oder vielleicht ist er nur ein Hirngespinst des Sterbenden?
Diese surreale Erzählweise ist ein absoluter Höhepunkt der Graphic Novel. Sie erinnert an Lovecrafts eigene Geschichten, in denen Wissen oft Wahnsinn bedeutet und die Grenzen der Realität ständig verschwimmen. Wir erleben nicht nur Lovecrafts letzten Tag, sondern tauchen in seine Ängste, seine Obsessionen und seine Schöpfungen ein.
Ein visuelles starkes Werk
Die Zeichnungen von Jakub Rebelka sind atemberaubend. Seine Bilder sind oft verstörend, voller verzerrter Formen, dunkler Farben und grotesker Kreaturen. Mal gleiten sie in abstrakte Traumlandschaften ab, dann wieder erscheinen sie klaustrophobisch und bedrückend.
Besonders beeindruckend ist die Farbgebung: Statt düsterer Grau- und Schwarztöne setzt Rebelka auf grelle, oft fast giftige Farben. Neonfarben durchziehen die Panels, geben den Albtraumsequenzen eine fieberhafte Intensität und verstärken das Gefühl, dass hier etwas grundlegend falsch ist, als wäre der Verstand des Sterbenden dabei, sich aufzulösen.
Die Lovecraft’sche Atmosphäre perfekt eingefangen
Eine der größten Stärken des Comics ist, wie perfekt er den Geist von Lovecrafts Werk einfängt. Es geht nicht nur um die direkte Referenz auf seine Figuren und Geschichten, sondern um das Gefühl des Unausweichlichen, des kosmischen Horrors, der jeden Moment auf die Realität durchbrechen könnte.
Randolph Carter spricht mit Lovecraft über Schicksal, Angst und die Grenzen des Verstandes. Immer wieder werden Zitate und Motive aus Lovecrafts Geschichten eingewoben, doch nie auf plumpe Weise. Stattdessen fühlt sich alles wie eine Erweiterung seines Mythos an, als wäre dies die letzte, große Lovecraft-Erzählung, geschrieben von seinem eigenen Geist in den letzten Stunden seines Lebens.
Ein Werk für Kenner und Liebhaber
Diese Graphic Novel ist definitiv nichts für Gelegenheitsleser. Wer auf eine klassische Biografie oder eine stringente Erzählweise hofft, wird schnell verloren gehen. Doch für Fans von Lovecraft ist sie ein echtes Geschenk.
Fazit: Eine Lovecraft-Geschichte, wie sie nur er selbst hätte träumen können
Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft ist eine außergewöhnliche Graphic Novel, die sich nicht mit einer nüchternen Nacherzählung seines Lebens zufriedengibt. Stattdessen taucht sie in seinen Geist ein, zerlegt die Realität in Albträume und erschafft ein Werk, das sich wie ein letzter, verzweifelter Blick ins Unbekannte anfühlt. Die surrealen Zeichnungen von Jakub Rebelka verstärken das Gefühl der Orientierungslosigkeit und des Wahnsinns. Sie machen den Comic zu einem einzigartigen Erlebnis. Allerdings ist dieses Werk nicht für jeden geeignet. Wer mit Lovecrafts Erzählstil oder der Idee einer fragmentarischen, traumähnlichen Geschichte wenig anfangen kann, wird sich hier schwer tun. Doch wer bereit ist, sich auf eine faszinierende Reise einzulassen, wird mit einer starken Lovecraft-Adaptionen belohnt. Man spürt auf jeder Seite, dass Giulivo und Rebelka nicht nur große Bewunderer des Autors sind, sondern auch tief in seine Thematiken und Motive eingetaucht sind. Das Werk ist anspruchsvoll, rätselhaft und voller versteckter Anspielungen, genau das, was ein Lovecraft-Comic sein sollte. Letztlich ist dieser Band genau das, was sie sein sollte: ein würdiger, poetischer und erschreckender Abschied von einem der größten Horror-Autoren aller Zeiten, erzählt in einer Form, die seinem Werk absolut gerecht wird.
Vielen Dank an den Splitter Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplar.
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